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    Clemens Brentano

    Rosablankens Traum

    In des ernsten Tales Büschen
    Ist die Nachtigall entschlafen,
    Mondenschein muß auch verblühen,
    Wehet schon der Frühe Atem.

    Jetzt auch hält auf stummen Hügeln
    Einsam freudig seine Wache
    Phosphorus, der Held der Frühe,
    Strahlend, ernsthaft, sinnend, harrend.

    Und es geht mit leisen Füßen,
    Daß der Vater nicht erwache,
    Rosablanka aus der Hütte,
    Um die Sonne zu erwarten.

    Nieder sitzt sie an der Türe
    Und blickt betend in den Garten,
    Ehe noch mit grauem Flügel
    An dem Dach die Schwalbe raschelt.

    Auf den Schattenkelchen glühen
    Milden Taues Diamanten;
    Sind es Tränen, sind es Küsse,
    Ists der Glanz prophetscher Flammen?

    „Morgenstern, o sei gegrüßet,
    Du, Maria, voll der Gnaden,
    Bitte für uns arme Sünder
    Jetzt und in dem Tode, Amen!“

    Spricht sie – und vom Stern der Frühe
    Weissagt auch die fromme Schwalbe,
    Und des Traumes schwülen Flügel
    Spannt sie über Rosablanken.

    Auf der goldnen Locke Fülle,
    Schwer vom blanken Nacken wallend,
    Sinkt ihr schlummernd Haupt zurücke,
    Himmelsspiegel wird die Wange.

    Schüchtern um die rosgen Füße
    Ihr der Tau die Traumflut sammelt,
    Und der West mit kühlem Flüstern
    Dunkle Schlummersegel spannet.

    Und der Traum spielt, sie berückend,
    Auf der Wimpern goldnen Strahlen,
    Die zum Schlummer sind entzücket
    In des Morgensternes Glanze.

    Und es kreuziget die Süße
    Fromm gewohnt sich Stirn und Wange,
    Legt in Gottes Hand die Zügel
    Der nachtwandelnden Gedanken.

    Von den lichtergrauten Hügeln
    Nieder zu des Tales Garten
    Durch die Nebelwege düster
    Sieht sie einen Jüngling wallen.

    Zu des Gartens Rosengrüften,
    Wo die Düfte schlummernd schwanken,
    Eilet Rosablanka schüchtern;
    Jener folget ihrem Pfade,

    Wandelt ernsthaft durch die Türe,
    In der Rechten einen Spaten,
    Und sie wagt nicht, ihn zu grüßen,
    Also hell und finster war er.

    Und sie pflückt gebückt in Züchten
    Süße Blümlein, die noch schlafen,
    Die unschuldgen, ohne Sünde,
    Ohne Taufe, ihm zum Kranze.

    Da sie scheu den Kranz schon ründet,
    Steht vor ihr der trübe Wandrer,
    Spricht: „Wohl selig sind die Blüten,
    Die du tötetest im Schlafe;

    Selig in der Nacht gepflücket,
    Die in Unschuld sind empfangen,
    Die nicht traf der Fluch der Sünde,
    Starben selig vor dem Apfel.

    Aber uns tut not zu büßen,
    Denn das Weib ward durch die Schlange
    Zu dem Gottesraub verführet,
    Den sie teilte mit dem Manne.

    Und so hat der Herr erzürnet
    An die Erde uns gebannet;
    In der Mutter muß ich wühlen
    Nach dem göttlichen Erbarmen.

    Mit dem Fleische ist die Sünde
    Aus der Erde aufgegangen;
    In der Mutter muß ich wühlen,
    Bis der Vater sich erbarmet!“

    Und vor Rosablankens Füßen
    Fing der Ernste an zu graben,
    Und da er die Gruft erwühlet,
    Hat die Erde ihn umfangen.

    Mit ihm zu der Erden Grüften
    Sinken auch des Tales Schatten;
    Aus den Gründen zu den Hügeln
    Tritt die Nebelwoge wachsend.

    Trüb getürmt auf düstern Füßen
    Schwankt der Riese auf am Walde,
    Schwingt die Nacht auf seinen Rücken,
    Kalt die Nebelfäuste ballend.

    Trügend rüstet sich der Lügner
    Mit dem Sonnengott zum Kampfe,
    Der auf goldnen Flügelfüßen
    Flammet aus den Ozeanen.

    Seinen Spiegel stellt er lügend
    In der Dünste giftgem Walle
    Antichristisch ihm genüber;
    Jeder wache, nicht zu fallen!

    Wo der Traum in irdschen Gründen
    Barg den Mann, will Rosablanke
    Ganz in tiefer Angst entzücket
    Ihren Blumenkranz begraben.

    Aber ihr entgegen züngelnd
    Reckt sich eine bunte Schlange,
    Und mit heilgem Mut gerüstet
    Betet bebend Rosablanke:

    „Sei verflucht, du Geist der Lügen,
    Dich zertrat des Weibes Samen;
    O Maria, sei gegrüßet,
    Mutter Gottes, voller Gnaden!

    Amen!“ und aus Himmelsflüssen
    Gießt sich aus ein Meer des Glanzes:
    Maris Stella sei gegrüßet,
    Semper virgo, ave, salve!

    Und der Jungfrau Heldenfüße
    Traten auf das Haupt der Schlange;
    Kindisch ihre Schuld zu sühnen
    Gibt dem Kranz ihr Rosablanke.

    Aber auf des Tales Hügeln
    Glüht die Sonne, und es wallen
    Schon die Bienen nach den Blüten,
    Und es eilt die fromme Schwalbe,

    Kühlt des Traumes schwülen Flügel
    Auf dem Spiegel klarer Wasser,
    Und beträufelt mit dem Flügel
    Weckend Rosablankens Wange.




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