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    Friedrich Hölderlin

    Abendphantasie

    Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sizt
    Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.
    Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
    Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

    Wohl kehren izt die Schiffer zum Hafen auch,
    In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
    Geschäft’ger Lärm; in stiller Laube
    Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

    Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
    Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh’ und Ruh’
    Ist alles freudig; warum schläft denn
    Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

    Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
    Unzählig blühen die Rosen und ruhig scheint
    Die goldne Welt; o dorthin nimmt mich,
    Purpurne Wolken! und möge droben

    In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb’ und Leid! –
    Doch, wie verscheucht von thöriger Bitte, flieht
    Der Zauber; dunkel wirds und einsam
    Unter dem Himmel, wie immer, bin ich –

    Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
    Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
    Du ruhelose, träumerische!
    Friedlich und heiter ist dann das Alter.




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