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    Novalis

    Was wär ich ohne dich gewesen

    Was wär ich ohne dich gewesen?
    Was würd' ich ohne dich nicht seyn?
    Zu Furcht und Aengsten auserlesen,
    Ständ' ich in weiter Welt allein.
    Nichts wüßt' ich sicher, was ich liebte,
    Die Zukunft wär ein dunkler Schlund;
    Und wenn mein Herz sich tief betrübte,
    Wem thät' ich meine Sorge kund?

    Einsam verzehrt von Lieb' und Sehnen,
    Erschien' mir nächtlich jeder Tag;
    Ich folgte nur mit heißen Thränen
    Dem wilden Lauf des Lebens nach.
    Ich fände Unruh im Getümmel,
    Und hoffnungslosen Gram zu Haus.
    Wer hielte ohne Freund im Himmel,
    Wer hielte da auf Erden aus?

    Hat Christus sich mir kund gegeben,
    Und bin ich seiner erst gewiß,
    Wie schnell verzehrt ein lichtes Leben
    Die bodenlose Finsterniß.
    Mit ihm bin ich erst Mensch geworden;
    Das Schicksal wird verklärt durch ihn,
    Und Indien muß selbst in Norden
    Um den Geliebten fröhlich blühn.

    Das Leben wird zur Liebesstunde,
    Die ganze Welt sprüht Lieb' und Lust.
    Ein heilend Kraut wächst jeder Wunde,
    Und frey und voll klopft jede Brust.
    Für alle seine tausend Gaben
    Bleib' ich sein demuthvolles Kind,
    Gewiß ihn unter uns zu haben,
    Wenn zwey auch nur versammelt sind.

    O! geht hinaus auf allen Wegen,
    Und holt die Irrenden herein,
    Streckt jedem eure Hand entgegen,
    Und ladet froh sie zu uns ein.
    Der Himmel ist bey uns auf Erden,
    Im Glauben schauen wir ihn an;
    Die Eines Glaubens mit uns werden,
    Auch denen ist er aufgethan.

    Ein alter, schwerer Wahn von Sünde
    War fest an unser Herz gebannt;
    Wir irrten in der Nacht wie Blinde,
    Von Reu und Lust zugleich entbrannt.
    Ein jedes Werk schien uns Verbrechen,
    Der Mensch ein Götterfeind zu seyn,
    Und schien der Himmel uns zu sprechen,
    So sprach er nur von Tod und Pein.

    Das Herz, des Lebens reiche Quelle,
    Ein böses Wesen wohnte drinn;
    Und wards in unserm Geiste helle,
    So war nur Unruh der Gewinn.
    Ein eisern Band hielt an der Erde
    Die bebenden Gefangnen fest;
    Furcht vor des Todes Richterschwerdte
    Verschlang der Hoffnung Ueberrest.

    Da kam ein Heiland, ein Befreyer,
    Ein Menschensohn, voll Lieb' und Macht
    Und hat ein allbelebend Feuer
    In unserm Innern angefacht.
    Nun sahn wir erst den Himmel offen
    Als unser altes Vaterland,
    Wir konnten glauben nun und hoffen.
    Und fühlten uns mit Gott verwandt.

    Seitdem verschwand bey uns die Sünde,
    Und fröhlich wurde jeder Schritt;
    Man gab zum schönsten Angebinde
    Den Kindern diesen Glauben mit;
    Durch ihn geheiligt zog das Leben
    Vorüber, wie ein sel'ger Traum,
    Und, ew'ger Lieb' und Lust ergeben,
    Bemerkte man den Abschied kaum.

    Noch steht in wunderbarem Glanze
    Der heilige Geliebte hier,
    Gerührt von seinem Dornenkranze
    Und seiner Treue weinen wir.
    Ein jeder Mensch ist uns willkommen,
    Der seine Hand mit uns ergreift,
    Und in sein Herz mit aufgenommen
    Zur Frucht des Paradieses reift.




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