Library / Literary Works

    Rainer Maria Rilke

    Die Sonette an Orpheus

    GESCHRIEBEN ALS EIN GRAB-MAL
    FÜR WERA OUCKAMA KNOOP

    ERSTER TEIL

    I

    Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!
    O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!
    Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung
    ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.

    Tiere aus Stille drangen aus dem klaren
    gelösten Wald von Lager und Genist;
    und da ergab sich, daß sie nicht aus List
    und nicht aus Angst in sich so leise waren,

    sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr
    schien klein in ihren Herzen. Und wo eben
    kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,

    ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen
    mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, –
    da schufst du ihnen Tempel im Gehör.

    II

    Und fast ein Mädchen wars und ging hervor
    aus diesem einigen Glück von Sang und Leier
    und glänzte klar durch ihre Frühlingsschleier
    und machte sich ein Bett in meinem Ohr.

    Und schlief in mir. Und alles war ihr Schlaf.
    Die Bäume, die ich je bewundert, diese
    fühlbare Ferne, die gefühlte Wiese
    und jedes Staunen, das mich selbst betraf.

    Sie schlief die Welt. Singender Gott, wie hast
    du sie vollendet, daß sie nicht begehrte,
    erst wach zu sein? Sieh, sie erstand und schlief.

    Wo ist ihr Tod? O, wirst du dies Motiv
    erfinden noch, eh sich dein Lied verzehrte? —
    Wo sinkt sie hin aus mir? … Ein Mädchen fast …

    III

    Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll
    ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier?
    Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier
    Herzwege steht kein Tempel für Apoll.

    Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr,
    nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes;
    Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes.
    Wann aber sind wir? Und wann wendet er

    an unser Sein die Erde und die Sterne?
    Dies ists nicht, Jüngling, daß du liebst, wenn auch
    die Stimme dann den Mund dir aufstößt, – lerne

    vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt.
    In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch.
    Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.

    IV

    O ihr Zärtlichen, tretet zuweilen
    in den Atem, der euch nicht meint,
    laßt ihn an eueren Wangen sich teilen,
    hinter euch zittert er, wieder vereint.

    O ihr Seligen, o ihr Heilen,
    die ihr der Anfang der Herzen scheint.
    Bogen der Pfeile und Ziele von Pfeilen,
    ewiger glänzt euer Lächeln verweint.

    Fürchtet euch nicht zu leiden, die Schwere,
    gebt sie zurück an der Erde Gewicht;
    schwer sind die Berge, schwer sind die Meere.

    Selbst die als Kinder ihr pflanztet, die Bäume,
    wurden zu schwer längst; ihr trüget sie nicht.
    Aber die Lüfte … aber die Räume …

    V

    Errichtet keinen Denkstein. Laßt die Rose
    nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn.
    Denn Orpheus ists. Seine Metamorphose
    in dem und dem. Wir sollen uns nicht mühn

    um andre Namen. Ein für alle Male
    ists Orpheus, wenn es singt. Er kommt und geht.
    Ists nicht schon viel, wenn er die Rosenschale
    um ein paar Tage manchmal übersteht?

    O wie er schwinden muß, daß ihrs begrifft!
    Und wenn ihm selbst auch bangte, daß er schwände.
    Indem sein Wort das Hiersein übertrifft,

    ist er schon dort, wohin ihrs nicht begleitet.
    Der Leier Gitter zwängt ihm nicht die Hände.
    Und er gehorcht, indem er überschreitet.

    VI

    Ist er ein Hiesiger? Nein, aus beiden
    Reichen erwuchs seine weite Natur.
    Kundiger böge die Zweige der Weiden,
    wer die Wurzeln der Weiden erfuhr.

    Geht ihr zu Bette, so laßt auf dem Tische
    Brot nicht und Milch nicht; die Toten ziehts –.
    Aber er, der Beschwörende, mische
    unter der Milde des Augenlids

    ihre Erscheinung in alles Geschaute;
    und der Zauber von Erdrauch und Raute
    sei ihm so wahr wie der klarste Bezug.

    Nichts kann das gültige Bild ihm verschlimmern;
    sei es aus Gräbern, sei es aus Zimmern,
    rühme er Fingerring, Spange und Krug.

    VII

    Rühmen, das ists! Ein zum Rühmen Bestellter,
    ging er hervor wie das Erz aus des Steins
    Schweigen. Sein Herz, o vergängliche Kelter
    eines den Menschen unendlichen Weins.

    Nie versagt ihm die Stimme am Staube,
    wenn ihn das göttliche Beispiel ergreift.
    Alles wird Weinberg, alles wird Traube,
    in seinem fühlenden Süden gereift.

    Nicht in den Grüften der Könige Moder
    straft ihm die Rühmung Lügen, oder
    daß von den Göttern ein Schatten fällt.

    Er ist einer der bleibenden Boten,
    der noch weit in die Türen der Toten
    Schalen mit rühmlichen Früchten hält.

    VIII

    Nur im Raum der Rühmung darf die Klage
    gehn, die Nymphe des geweinten Quells,
    wachend über unserm Niederschlage,
    daß er klar sei an demselben Fels,

    der die Tore trägt und die Altäre. –
    Sieh, um ihre stillen Schultern früht
    das Gefühl, daß sie die jüngste wäre
    unter den Geschwistern im Gemüt.

    Jubel weiß, und Sehnsucht ist geständig, –
    nur die Klage lernt noch; mädchenhändig
    zählt sie nächtelang das alte Schlimme.

    Aber plötzlich, schräg und ungeübt,
    hält sie doch ein Sternbild unsrer Stimme
    in den Himmel, den ihr Hauch nicht trübt.

    IX

    Nur wer die Leier schon hob
    auch unter Schatten,
    darf das unendliche Lob
    ahnend erstatten.

    Nur wer mit Toten vom Mohn
    aß, von dem ihren,
    wird nicht den leisesten Ton
    wieder verlieren.

    Mag auch die Spieglung im Teich
    oft uns verschwimmen:
    Wisse das Bild.

    Erst in dem Doppelbereich
    werden die Stimmen
    ewig und mild.

    X

    Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt,
    grüß ich, antikische Sarkophage,
    die das fröhliche Wasser römischer Tage
    als ein wandelndes Lied durchfließt.

    Oder jene so offenen, wie das Aug
    eines frohen erwachenden Hirten,
    – innen voll Stille und Bienensaug –
    denen entzückte Falter entschwirrten;

    alle, die man dem Zweifel entreißt,
    grüß ich, die wiedergeöffneten Munde,
    die schon wußten, was schweigen heißt.

    Wissen wirs, Freunde, wissen wirs nicht?
    Beides bildet die zögernde Stunde
    in dem menschlichen Angesicht.

    XI

    Sieh den Himmel. Heißt kein Sternbild „Reiter“?
    Denn dies ist uns seltsam eingeprägt:
    dieser Stolz aus Erde. Und ein zweiter,
    der ihn treibt und hält und den er trägt.

    Ist nicht so, gejagt und dann gebändigt,
    diese sehnige Natur des Seins?
    Weg und Wendung. Doch ein Druck verständigt.
    Neue Weite. Und die zwei sind eins.

    Aber sind sie’s? Oder meinen beide
    nicht den Weg, den sie zusammen tun?
    Namenlos schon trennt sie Tisch und Weide.

    Auch die sternische Verbindung trügt.
    Doch uns freue eine Weile nun,
    der Figur zu glauben. Das genügt

    XII

    Heil dem Geist, der uns verbinden mag;
    denn wir leben wahrhaft in Figuren.
    Und mit kleinen Schritten gehn die Uhren
    neben unserm eigentlichen Tag.

    Ohne unsern wahren Platz zu kennen,
    handeln wir aus wirklichem Bezug.
    Die Antennen fühlen die Antennen,
    und die leere Ferne trug …

    Reine Spannung. O Musik der Kräfte!
    Ist nicht durch die läßlichen Geschäfte
    jede Störung von dir abgelenkt?

    Selbst wenn sich der Bauer sorgt und handelt,
    wo die Saat in Sommer sich verwandelt,
    reicht er niemals hin. Die Erde schenkt.

    XIII

    Voller Apfel, Birne und Banane,
    Stachelbeere … Alles dieses spricht
    Tod und Leben in den Mund ... Ich ahne …
    Lest es einem Kind vom Angesicht,

    wenn es sie erschmeckt. Dies kommt von weit.
    Wird euch langsam namenlos im Munde?
    Wo sonst Worte waren, fließen Funde,
    aus dem Fruchtfleisch überrascht befreit.

    Wagt zu sagen, was ihr Apfel nennt.
    Diese Süße, die sich erst verdichtet,
    um, im Schmecken leise aufgerichtet,

    klar zu werden, wach und transparent,
    doppeldeutig, sonnig, erdig, hiesig –:
    O Erfahrung, Fühlung, Freude –, riesig!

    XIV

    Wir gehen um mit Blume, Weinblatt, Frucht.
    Sie sprechen nicht die Sprache nur des Jahres.
    Aus Dunkel steigt ein buntes Offenbares
    und hat vielleicht den Glanz der Eifersucht

    der Toten an sich, die die Erde stärken.
    Was wissen wir von ihrem Teil an dem?
    Es ist seit lange ihre Art, den Lehm
    mit ihrem freien Marke zu durchmärken.

    Nun fragt sich nur: tun sie es gern? …
    Drängt diese Frucht, ein Werk von schweren Sklaven,
    geballt zu uns empor, zu ihren Herrn?

    Sind sie die Herrn, die bei den Wurzeln schlafen,
    und gönnen uns aus ihren Uberflüssen
    dies Zwischending aus stummer Kraft und Küssen?

    XV

    Wartet …, das schmeckt … Schon ists auf der Flucht.
    … Wenig Musik nur, ein Stampfen, ein Summen –:
    Mädchen, ihr warmen, Mädchen, ihr stummen,
    tanzt den Geschmack, der erfahrenen Frucht!

    Tanzt die Orange. Wer kann sie vergessen,
    wie sie, ertrinkend in sich, sich wehrt
    wider ihr Süßsein. Ihr habt sie besessen.
    Sie hat sich köstlich zu euch bekehrt.

    Tanzt die Orange. Die wärmere Landschaft,
    werft sie aus euch, daß die reife erstrahle
    in Lüften der Heimat! Erglühte, enthüllt

    Düfte um Düfte! Schafft die Verwandtschaft
    mit der reinen, sich weigernden Schale,
    mit dem Saft, der die glückliche füllt!

    XVI

    Du, mein Freund, bist einsam, weil …
    Wir machen mit Worten und Fingerzeigen
    uns allmählich die Welt zu eigen,
    vielleicht ihren schwächsten, gefährlichsten Teil.

    Wer zeigt mit Fingern auf einen Geruch? –
    Doch von den Kräften, die uns bedrohten,
    fühlst du viele … Du kennst die Toten,
    und du erschrickst vor dem Zauberspruch.

    Sieh, nun heißt es zusammen ertragen
    Stückwerk und Teile, als sei es das Ganze.
    Dir helfen, wird schwer sein. Vor allem: pflanze

    mich nicht in dein Herz. Ich wüchse zu schnell.
    Doch meines Herrn Hand will ich führen und sagen:
    Hier. Das ist Esau in seinem Fell.

    XVII

    Zu unterst der Alte, verworrn,
    all der Erbauten
    Wurzel, verborgener Born,
    den sie nie schauten.

    Sturmhelm und Jägerhorn,
    Spruch von Ergrauten,
    Männer im Bruderzorn,
    Frauen wie Lauten …

    Drängender Zweig an Zweig,
    nirgends ein freier …
    Einer! o steig … o steig …

    Aber sie brechen noch.
    Dieser erst oben doch
    biegt sich zur Leier.

    XVIII

    Hörst du das Neue, Herr,
    dröhnen und beben?
    Kommen Verkündiger,
    die es erheben.

    Zwar ist kein Hören heil
    in dem Durchtobtsein,
    doch der Maschinenteil
    will jetzt gelobt sein.

    Sieh, die Maschine:
    wie sie sich wälzt und rächt
    und uns entstellt und schwächt.

    Hat sie aus uns auch Kraft,
    sie, ohne Leidenschaft,
    treibe und diene.

    XIX

    Wandelt sich rasch auch die Welt
    wie Wolkengestalten,
    alles Vollendete fällt
    heim zum Uralten.

    Über dem Wandel und Gang,
    weiter und freier,
    währt noch dein Vor-Gesang,
    Gott mit der Leier.

    Nicht sind die Leiden erkannt,
    nicht ist die Liebe gelernt,
    und was im Tod uns entfernt,

    ist nicht entschleiert.
    Einzig das Lied überm Land
    heiligt und feiert.

    XX

    Dir aber, Herr, o was weih ich dir, sag,
    der das Ohr den Geschöpfen gelehrt? –
    Mein Erinnern an einen Frühlingstag,
    seinen Abend, in Rußland –, ein Pferd …

    Herüber vom Dorf kam der Schimmel allein,
    an der vorderen Fessel den Pflock,
    um die Nacht auf den Wiesen allein zu sein;
    wie schlug seiner Mähne Gelock

    an den Hals im Takte des Übermuts,
    bei dem grob gehemmten Galopp.
    Wie sprangen die Quellen des Rossebluts!

    Der fühlte die Weiten, und ob!
    Der sang und der hörte –, dein Sagenkreis
    war in ihm geschlossen.
    Sein Bild: ich weih’s.

    XXI

    Frühling ist wiedergekommen. Die Erde
    ist wie ein Kind, das Gedichte weiß;
    viele, o viele … Für die Beschwerde
    langen Lernens bekommt sie den Preis.

    Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße
    an dem Barte des alten Manns.
    Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,
    dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns!

    Erde, die frei hat, du glückliche, spiele
    nun mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,
    fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts.

    O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,
    und was gedruckt steht in Wurzeln und langen
    schwierigen Stämmen: sie singts, sie singts!

    XXII

    Wir sind die Treibenden.
    Aber den Schritt der Zeit,
    nehmt ihn als Kleinigkeit
    im immer Bleibenden.

    Alles das Eilende
    wird schon vorüber sein;
    denn das Verweilende
    erst weiht uns ein.

    Knaben, o werft den Mut
    nicht in die Schnelligkeit,
    nicht in den Flugversuch.

    Alles ist ausgeruht:
    Dunkel und Helligkeit,
    Blume und Buch.

    XXIII

    O erst dann, wenn der Flug
    nicht mehr um seinetwillen
    wird in die Himmelstillen
    steigen, sich selber genug,

    um in lichten Profilen,
    als das Gerät, das gelang,
    Liebling der Winde zu spielen,
    sicher schwenkend und schlank, –

    erst wenn ein reines Wohin
    wachsender Apparate
    Knabenstolz überwiegt,

    wird, überstürzt von Gewinn,
    jener den Fernen Genahte
    sein, was er einsam erfliegt.

    XXIV

    Sollen wir unsere uralte Freundschaft, die großen
    niemals werbenden Götter, weil sie der harte
    Stahl, den wir streng erzogen, nicht kennt, verstoßen
    oder sie plötzlich suchen auf einer Karte?

    Diese gewaltigen Freunde, die uns die Toten
    nehmen, rühren nirgends an unsere Räder.
    Unsere Gastmähler haben wir weit –, unsere Bäder,
    fortgerückt, und ihre uns lang schon zu langsamen Boten

    überholen wir immer. Einsamer nun auf einander
    ganz angewiesen, ohne einander zu kennen,
    führen wir nicht mehr die Pfade als schöne Mäander,

    sondern als Grade. Nur noch in Dampfkesseln brennen
    die einstigen Feuer und heben die Hämmer, die immer
    größern. Wir aber nehmen an Kraft ab, wie Schwimmer.

    XXV

    Dich aber will ich nun, dich, die ich kannte
    wie eine Blume, von der ich den Namen nicht weiß,
    noch ein Mal erinnern und ihnen zeigen, Entwandte,
    schöne Gespielin des unüberwindlichen Schrei’s.

    Tänzerin erst, die plötzlich, den Körper voll Zögern,
    anhielt, als göß man ihr Jungsein in Erz;
    trauernd und lauschend –. Da, von den hohen Vermögern
    fiel ihr Musik in das veränderte Herz.

    Nah war die Krankheit. Schon von den Schatten bemächtigt,
    drängte verdunkelt das Blut, doch, wie flüchtig verdächtigt,
    trieb es in seinen natürlichen Frühling hervor.

    Wieder und wieder, von Dunkel und Sturz unterbrochen,
    glänzte es irdisch. Bis es nach schrecklichem Pochen
    trat in das trostlos offene Tor.

    XXVI

    Du aber, Göttlicher, du, bis zuletzt noch Ertöner,
    da ihn der Schwarm der verschmähten Mänaden befiel,
    hast ihr Geschrei übertönt mit Ordnung, du Schöner,
    aus den Zerstörenden stieg dein erbauendes Spiel.

    Keine war da, daß sie Haupt dir und Leier zerstör’,
    wie sie auch rangen und rasten; und alle die scharfen
    Steine, die sie nach deinem Herzen warfen,
    wurden zu Sanftem an dir und begabt mit Gehör.

    Schließlich zerschlugen sie dich, von der Rache gehetzt,
    während dein Klang noch in Löwen und Felsen verweilte
    und in den Bäumen und Vögeln. Dort singst du noch jetzt.

    O du verlorener Gott! Du unendliche Spur!
    Nur weil dich reißend zuletzt die Feindschaft verteilte,
    sind wir die Hörenden jetzt und ein Mund der Natur.

    ZWEITER TEIL

    I

    Atmen, du unsichtbares Gedicht!
    Immerfort um das eigne
    Sein rein eingetauschter Weltraum. Gegengewicht,
    in dem ich mich rhythmisch ereigne.

    Einzige Welle, deren
    allmähliches Meer ich bin;
    sparsamstes du von allen möglichen Meeren, –
    Raumgewinn.

    Wie viele von diesen Stellen der Räume waren schon
    innen in mir. Manche Winde
    sind wie mein Sohn.

    Erkennst du mich, Luft, du, voll noch einst meiniger Orte?
    Du, einmal glatte Rinde,
    Rundung und Blatt meiner Worte.

    II

    So wie dem Meister manchmal das eilig
    nähere Blatt den wirklichen Strich
    abnimmt: so nehmen oft Spiegel das heilig
    einzige Lächeln der Mädchen in sich,

    wenn sie den Morgen erproben, allein, –
    oder im Glanze der dienenden Lichter.
    Und in das Atmen der echten Gesichter,
    später, fällt nur ein Widerschein.

    Was haben Augen einst ins umrußte
    lange Verglühn der Kamine geschaut:
    Blicke des Lebens, für immer verlorne.

    Ach, der Erde, wer kennt die Verluste?
    Nur, wer mit dennoch preisendem Laut
    sänge das Herz, das ins Ganze geborne.

    III

    Spiegel: noch nie hat man wissend beschrieben,
    was ihr in euerem Wesen seid.
    Ihr, wie mit lauter Löchern von Sieben
    erfüllten Zwischenräume der Zeit.

    Ihr, noch des leeren Saales Verschwender –,
    wenn es dämmert, wie Wälder weit …
    Und der Lüster geht wie ein Sechzehn-Ender
    durch eure Unbetretbarkeit.

    Manchmal seid ihr voll Malerei.
    Einige scheinen in euch gegangen –,
    andere schicktet ihr scheu vorbei.

    Aber die Schönste wird bleiben, bis
    drüben in ihre enthaltenen Wangen
    eindrang der klare gelöste Narziß.

    IV

    O dieses ist das Tier, das es nicht gibt.
    Sie wußtens nicht und habens jeden Falls
    – sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,
    bis in des stillen Blickes Licht – geliebt.

    Zwar war es nicht. Doch weil sie’s liebten, ward
    ein reines Tier. Sie ließen immer Raum.
    Und in dem Raume, klar und ausgespart,
    erhob es leicht sein Haupt und brauchte kaum

    zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,
    nur immer mit der Möglichkeit, es sei.
    Und die gab solche Stärke an das Tier,

    daß es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.
    Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei –
    und war im Silber-Spiegel und in ihr.

    V

    Blumenmuskel, der der Anemone
    Wiesenmorgen nach und nach erschließt,
    bis in ihren Schoß das polyphone
    Licht der lauten Himmel sich ergießt,

    in den stillen Blütenstern gespannter
    Muskel des unendlichen Empfangs,
    manchmal so von Fülle übermannter,
    daß der Ruhewink des Untergangs

    kaum vermag die weitzurückgeschnellten
    Blätterränder dir zurückzugeben:
    du, Entschluß und Kraft von wieviel Welten!

    Wir Gewaltsamen, wir währen länger.
    Aber wann, in welchem aller Leben,
    sind wir endlich offen und Empfänger?

    VI

    Rose, du thronende, denen im Altertume
    warst du ein Kelch mit einfachem Rand.
    Uns aber bist du die volle zahllose Blume,
    der unerschöpfliche Gegenstand.

    In deinem Reichtum scheinst du wie Kleidung um Kleidung
    um einen Leib aus nichts als Glanz;
    aber dein einzelnes Blatt ist zugleich die Vermeidung
    und die Verleugnung jedes Gewands.

    Seit Jahrhunderten ruft uns dein Duft
    seine süßesten Namen herüber;
    plötzlich liegt er wie Ruhm in der Luft.

    Dennoch, wir wissen ihn nicht zu nennen, wir raten …
    Und Erinnerung geht zu ihm über,
    die wir von rufbaren Stunden erbaten.

    VII

    Blumen, ihr schließlich den ordnenden Händen verwandte,
    (Händen der Mädchen von einst und jetzt),
    die auf dem Gartentisch oft von Kante zu Kante
    lagen, ermattet und sanft verletzt,

    wartend des Wassers, das sie noch einmal erhole
    aus dem begonnenen Tod –, und nun
    wieder erhobene zwischen die strömenden Pole
    fühlender Finger, die wohlzutun

    mehr noch vermögen, als ihr ahntet, ihr leichten,
    wenn ihr euch wiederfandet im Krug,
    langsam erkühlend und Warmes der Mädchen, wie Beichten,

    von euch gebend, wie trübe ermüdende Sünden,
    die das Gepflücktsein beging, als Bezug
    wieder zu ihnen, die sich euch blühend verbünden.

    VIII

    Wenige ihr, der einstigen Kindheit Gespielen
    in den zerstreuten Gärten der Stadt:
    wie wir uns fanden und uns zögernd gefielen
    und, wie das Lamm mit dem redenden Blatt,

    sprachen als schweigende. Wenn wir uns einmal freuten,
    keinem gehörte es. Wessen wars?
    Und wie zergings unter allen den gehenden Leuten
    und im Bangen des langen Jahrs.

    Wagen umrollten uns fremd, vorübergezogen,
    Häuser umstanden uns stark, aber unwahr, – und keines
    kannte uns je. Was war wirklich im All?

    Nichts. Nur die Bälle. Ihre herrlichen Bogen.
    Auch nicht die Kinder … Aber manchmal trat eines,
    ach ein vergehendes, unter den fallenden Ball.

    (In memoriam Egon von Rilke)

    IX

    Rühmt euch, ihr Richtenden, nicht der entbehrlichen Folter
    und daß das Eisen nicht länger an Hälsen sperrt.
    Keins ist gesteigert, kein Herz –, weil ein gewollter
    Krampf der Milde euch zarter verzerrt.

    Was es durch Zeiten bekam, das schenkt das Schafott
    wieder zurück, wie Kinder ihr Spielzeug vom vorig
    alten Geburtstag. Ins reine, ins hohe, ins thorig
    offene Herz träte er anders, der Gott

    wirklicher Milde. Er käme gewaltig und griffe
    strahlender um sich, wie Göttliche sind.
    Mehr als ein Wind für die großen gesicherten Schiffe.

    Weniger nicht, als die heimliche leise Gewahrung,
    die uns im Innern schweigend gewinnt
    wie ein still spielendes Kind aus unendlicher Paarung.

    X

    Alles Erworbne bedroht die Maschine, solange
    sie sich erdreistet, im Geist, statt im Gehorchen, zu sein.
    Daß nicht der herrlichen Hand schöneres Zögern mehr prange,
    zu dem entschlossenern Bau schneidet sie steifer den Stein.

    Nirgends bleibt sie zurück, daß wir ihr ein Mal entrönnen
    und sie in stiller Fabrik ölend sich selber gehört.
    Sie ist das Leben, – sie meint es am besten zu können,
    die mit dem gleichen Entschluß ordnet und schafft und zerstört.

    Aber noch ist uns das Dasein verzaubert; an hundert
    Stellen ist es noch Ursprung. Ein Spielen von reinen
    Kräften, die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert.

    Worte gehen noch zart am Unsäglichen aus …
    Und die Musik, immer neu, aus den bebendsten Steinen,
    baut im unbrauchbaren Raum ihr vergöttlichtes Haus.

    XI

    Manche, des Todes, entstand ruhig geordnete Regel,
    weiterbezwingender Mensch, seit du im Jagen beharrst;
    mehr doch als Falle und Netz, weiß ich dich, Streifen von Segel,
    den man hinuntergehängt in den höhligen Karst.

    Leise ließ man dich ein, als wärst du ein Zeichen,
    Frieden zu feiern. Doch dann: rang dich am Rande der Knecht,
    – und, aus den Höhlen, die Nacht warf eine Handvoll von bleichen
    taumelnden Tauben ins Licht … Aber auch das ist im Recht.

    Fern von dem Schauenden sei jeglicher Hauch des Bedauerns,
    nicht nur vom Jäger allein, der, was sich zeitig erweist,
    wachsam und handelnd vollzieht.

    Töten ist eine Gestalt unseres wandernden Trauerns
    Rein ist im heiteren Geist,
    was an uns selber geschieht.

    XII

    Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert,
    drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;
    jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,
    liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.

    Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte;
    wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau’s?
    Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte.
    Wehe –: abwesender Hammer holt aus!

    Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung;
    und sie führt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne,
    das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt.

    Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung,
    den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne
    will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind

    XIII

    Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter
    dir, wie der Winter, der eben geht.
    Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,
    daß, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.

    Sei immer tot in Eurydike –, singender steige,
    preisender steige zurück in den reinen Bezug.
    Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,
    sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.

    Sei – und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,
    den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,
    daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.

    Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen
    Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen,
    zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl.

    XIV

    Siehe die Blumen, diese dem Irdischen treuen,
    denen wir Schicksal vom Rande des Schicksals leihn, –
    aber wer weiß es! Wenn sie ihr Welken bereuen,
    ist es an uns, ihre Reue zu sein.

    Alles will schweben. Da gehn wir umher wie Beschwerer,
    legen auf alles uns selbst, vom Gewichte entzückt;
    o was sind wir den Dingen für zehrende Lehrer,
    weil ihnen ewige Kindheit glückt.

    Nähme sie einer ins innige Schlafen und schliefe
    tief mit den Dingen –: o wie käme er leicht,
    anders zum anderen Tag, aus der gemeinsamen Tiefe.

    Oder er bliebe vielleicht; und sie blühten und priesen
    ihn, den Bekehrten, der nun den Ihrigen gleicht,
    allen den stillen Geschwistern im Winde der Wiesen.

    XV

    O Brunnen-Mund, du gebender, du Mund,
    der unerschöpflich Eines, Reines, spricht, –
    du, vor des Wassers fließendem Gesicht,
    marmorne Maske. Und im Hintergrund

    der Aquädukte Herkunft. Weither an
    Gräbern vorbei, vom Hang des Apennins
    tragen sie dir dein Sagen zu, das dann
    am schwarzen Altern deines Kinns

    vorüberfällt in das Gefäß davor.
    Dies ist das schlafend hingelegte Ohr,
    das Marmorohr, in das du immer sprichst.

    Ein Ohr der Erde. Nur mit sich allein
    redet sie also. Schiebt ein Krug sich ein,
    so scheint es ihr, daß du sie unterbrichst.

    XVI

    Immer wieder von uns aufgerissen,
    ist der Gott die Stelle, welche heilt.
    Wir sind Scharfe, denn wir wollen wissen,
    aber er ist heiter und verteilt.

    Selbst die reine, die geweihte Spende
    nimmt er anders nicht in seine Welt,
    als indem er sich dem freien Ende
    unbewegt entgegenstellt.

    Nur der Tote trinkt
    aus der hier von uns gehörten Quelle,
    wenn der Gott ihm schweigend winkt, dem Toten.

    Uns wird nur das Lärmen angeboten.
    Und das Lamm erbittet seine Schelle
    aus dem stilleren Instinkt.

    XVII

    Wo, in welchen immer selig bewässerten Gärten, an welchen
    Bäumen, aus welchen zärtlich entblätterten Blüten-Kelchen
    reifen die fremdartigen Früchte der Tröstung? Diese
    köstlichen, deren du eine vielleicht in der zertretenen Wiese

    deiner Armut findest. Von einem zum anderen Male
    wunderst du dich über die Größe der Frucht,
    über ihr Heilsein, über die Sanftheit der Schale,
    und daß sie der Leichtsinn des Vogels dir nicht vorwegnahm und nicht die Eifersucht

    unten des Wurms. Gibt es denn Bäume, von Engeln beflogen,
    und von verborgenen langsamen Gärtnern so seltsam gezogen,
    daß sie uns tragen, ohne uns zu gehören?

    Haben wir niemals vermocht, wir Schatten und Schemen,
    durch unser voreilig reifes und wieder welkes Benehmen
    jener gelassenen Sommer Gleichmut zu stören?

    XVIII

    Tänzerin: o du Verlegung
    alles Vergehens in Gang: wie brachtest du’s dar.
    Und der Wirbel am Schluß, dieser Baum aus Bewegung,
    nahm er nicht ganz in Besitz das erschwungene Jahr?

    Blühte nicht, daß ihn dein Schwingen von vorhin umschwärme,
    plötzlich sein Wipfel von Stille? Und über ihr,
    war sie nicht Sonne, war sie nicht Sommer, die Wärme,
    diese unzählige Wärme aus dir?

    Aber er trug auch, er trug, dein Baum der Ekstase.
    Sind sie nicht seine ruhigen Früchte: der Krug,
    reifend gestreift, und die gereiftere Vase?

    Und in den Bildern: ist nicht die Zeichnung geblieben,
    die deiner Braue dunkler Zug
    rasch an die Wandung der eigenen Wendung geschrieben?

    XIX

    Irgendwo wohnt das Gold in der verwöhnenden Bank,
    und mit Tausenden tut es vertraulich. Doch jener
    Blinde, der Bettler, ist selbst dem kupfernen Zehner
    wie ein verlorener Ort, wie das staubige Eck unterm Schrank.

    In den Geschäften entlang ist das Geld wie zuhause
    und verkleidet sich scheinbar in Seide, Nelken und Pelz.
    Er, der Schweigende, steht in der Atempause
    alles des wach oder schlafend atmenden Gelds.

    O wie mag sie sich schließen bei Nacht, diese immer offene Hand.
    Morgen holt sie das Schicksal wieder, und täglich
    hält es sie hin: hell, elend, unendlich zerstörbar.

    Daß doch einer, ein Schauender, endlich ihren langen Bestand
    staunend begriffe und rühmte. Nur dem Aufsingenden säglich.
    Nur dem Göttlichen hörbar.

    XX

    Zwischen den Sternen, wie weit; und doch, um wievieles noch weiter,
    was man am Hiesigen lernt.
    Einer, zum Beispiel, ein Kind … und ein Nächster, ein Zweiter –,
    o wie unfaßlich entfernt.

    Schicksal, es mißt uns vielleicht mit des Seienden Spanne,
    daß es uns fremd erscheint;
    denk, wieviel Spannen allein vom Mädchen zum Manne,
    wenn es ihn meidet und meint.

    Alles ist weit –, und nirgends schließt sich der Kreis.
    Sieh in der Schüssel, auf heiter bereitetem Tische,
    seltsam der Fische Gesicht.

    Fische sind stumm …, meinte man einmal. Wer weiß?
    Aber ist nicht am Ende ein Ort, wo man das, was der Fische
    Sprache wäre, ohne sie spricht?

    XXI

    Singe die Gärten, mein Herz, die du nicht kennst; wie in Glas
    eingegossene Gärten, klar, unerreichbar.
    Wasser und Rosen von Ispahan oder Schiras,
    singe sie selig, preise sie, keinem vergleichbar.

    Zeige, mein Herz, daß du sie niemals entbehrst.
    Daß sie dich meinen, ihre reifenden Feigen.
    Daß du mit ihren, zwischen den blühenden Zweigen
    wie zum Gesicht gesteigerten Lüften verkehrst.

    Meide den Irrtum, daß es Entbehrungen gebe
    für den geschehnen Entschluß, diesen: zu sein!
    Seidener Faden, kamst du hinein ins Gewebe.

    Welchem der Bilder du auch im Innern geeint bist
    (sei es selbst ein Moment aus dem Leben der Pein),
    fühl, daß der ganze, der rühmliche Teppich gemeint ist.

    XXII

    O trotz Schicksal: die herrlichen Überflüsse
    unseres Daseins, in Parken übergeschäumt, –
    oder als steinerne Männer neben die Schlüsse
    hoher Portale, unter Balkone gebäumt!

    O die eherne Glocke, die ihre Keule
    täglich wider den stumpfen Alltag hebt.
    Oder die eine, in Karnak, die Säule, die Säule,
    die fast ewige Tempel überlebt.

    Heute stürzen die Überschüsse, dieselben,
    nur noch als Eile vorbei, aus dem wagrechten gelben
    Tag in die blendend mit Licht übertriebene Nacht.

    Aber das Rasen zergeht und läßt keine Spuren.
    Kurven des Flugs durch die Luft und die, die sie fuhren,
    keine vielleicht ist umsonst. Doch nur wie gedacht.

    XXIII

    Rufe mich zu jener deiner Stunden,
    die dir unaufhörlich widersteht:
    flehend nah wie das Gesicht von Hunden,
    aber immer wieder weggedreht,

    wenn du meinst, sie endlich zu erfassen.
    So Entzognes ist am meisten dein.
    Wir sind frei. Wir wurden dort entlassen,
    wo wir meinten, erst begrüßt zu sein.

    Bang verlangen wir nach einem Halte,
    wir zu Jungen manchmal für das Alte
    und zu alt für das, was niemals war.

    Wir, gerecht nur, wo wir dennoch preisen,
    weil wir, ach, der Ast sind und das Eisen
    und das Süße reifender Gefahr.

    XXIV

    O diese Lust, immer neu, aus gelockertem Lehm!
    Niemand beinah hat den frühesten Wagern geholfen.
    Städte entstanden trotzdem an beseligten Golfen,
    Wasser und Öl füllten die Krüge trotzdem.

    Götter, wir planen sie erst in erkühnten Entwürfen,
    die uns das mürrische Schicksal wieder zerstört.
    Aber sie sind die Unsterblichen. Sehet, wir dürfen
    jenen erhorchen, der uns am Ende erhört.

    Wir, ein Geschlecht durch Jahrtausende: Mütter und Väter,
    immer erfüllter von dem künftigen Kind,
    daß es uns einst, übersteigend, erschüttere, später.

    Wir, wir unendlich Gewagten, was haben wir Zeit!
    Und nur der schweigsame Tod, der weiß, was wir sind
    und was er immer gewinnt, wenn er uns leiht.

    XXV

    Schon, horch, hörst du der ersten Harken
    Arbeit; wieder den menschlichen Takt
    in der verhaltenen Stille der starken
    Vorfrühlingserde. Unabgeschmackt

    scheint dir das Kommende. Jenes so oft
    dir schon Gekommene scheint dir zu kommen
    wieder wie Neues. Immer erhofft,
    nahmst du es niemals. Es hat dich genommen.

    Selbst die Blätter durchwinterter Eichen
    scheinen im Abend ein künftiges Braun.
    Manchmal geben sich Lüfte ein Zeichen.

    Schwarz sind die Sträucher. Doch Haufen von Dünger
    lagern als satteres Schwarz in den Au’n.
    Jede Stunde, die hingeht, wird jünger.

    XXVI

    Wie ergreift uns der Vogelschrei …
    Irgendein einmal erschaffenes Schreien.
    Aber die Kinder schon, spielend im Freien,
    schreien an wirklichen Schreien vorbei.

    Schreien den Zufall. In Zwischenräume
    dieses, des Weltraums, (in welchen der heile
    Vogelschrei eingeht, wie Menschen in Träume –)
    treiben sie ihre, des Kreischens, Keile.

    Wehe, wo sind wir? Immer noch freier,
    wie die losgerissenen Drachen
    jagen wir halbhoch, mit Rändern von Lachen,

    windig zerfetzten. – Ordne die Schreier,
    singender Gott! daß sie rauschend erwachen,
    tragend als Strömung das Haupt und die Leier.

    XXVII

    Gibt es wirklich die Zeit, die zerstörende?
    Wann, auf dem ruhenden Berg, zerbricht sie die Burg?
    Dieses Herz, das unendlich den Göttern gehörende,
    wann vergewaltigt’s der Demiurg?

    Sind wir wirklich so ängstlich Zerbrechliche,
    wie das Schicksal uns wahr machen will?
    Ist die Kindheit, die tiefe, versprechliche,
    in den Wurzeln – später – still?

    Ach, das Gespenst des Vergänglichen,
    durch den arglos Empfänglichen
    geht es, als wär es ein Rauch.

    Als die, die wir sind, als die Treibenden,
    gelten wir doch bei bleibenden
    Kräften als göttlicher Brauch.

    XXVIII

    O komm und geh. Du, fast noch Kind, ergänze
    für einen Augenblick die Tanzfigur
    zum reinen Sternbild einer jener Tänze,
    darin wir die dumpf ordnende Natur

    vergänglich übertreffen. Denn sie regte
    sich völlig hörend nur, da Orpheus sang.
    Du warst noch die von damals her Bewegte
    und leicht befremdet, wenn ein Baum sich lang

    besann, mit dir nach dem Gehör zu gehn.
    Du wußtest noch die Stelle, wo die Leier
    sich tönend hob –; die unerhörte Mitte.

    Für sie versuchtest du die schönen Schritte
    und hofftest, einmal zu der heilen Feier
    des Freundes Gang und Antlitz hinzudrehn.

    XXIX

    Stiller Freund der vielen Fernen, fühle,
    wie dein Atem noch den Raum vermehrt.
    Im Gebälk der finstern Glockenstühle
    laß dich läuten. Das, was an dir zehrt,

    wird ein Starkes über dieser Nahrung.
    Geh in der Verwandlung aus und ein.
    Was ist deine leidendste Erfahrung?
    Ist dir Trinken bitter, werde Wein.

    Sei in dieser Nacht aus Ubermaß
    Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne,
    ihrer seltsamen Begegnung Sinn.

    Und wenn dich das Irdische vergaß,
    zu der stillen Erde sag: Ich rinne.
    Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin.


    ANMERKUNGEN

    zum einundzwanzigsten Sonett des ersten Teils (Seite 27):

    Das kleine Frühlings-Lied erscheint mir gleichsam als „Auslegung“ einer merkwürdig tanzenden Musik, die ich einmal von den Klosterkindern in der kleinen Nonnenkirche zu Ronda (in Süd-Spanien) zu einer Morgenmesse habe singen hören. Die Kinder, immer im Tanztakt, sangen einen mir unbekannten Text zu Triangel und Tamburin.

    zum elften Sonett des zweiten Teils (Seite 45):

    Bezugnehmend auf die Art, wie man, nach altem Jagdgebrauch, in gewissen Gegenden des Karsts, die eigentümlich bleichen Grotten-Tauben, durch vorsichtig in ihre Höhlen eingehängte Tücher, indem man diese plötzlich auf eine besondere Weise schwenkt, aus ihren unterirdischen Aufenthalten scheucht, um sie, bei ihrem erschreckten Ausflug, zu erlegen.




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