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    Wilhelm Idel

    Die Glocken von Wiehl

    Und geht ihr vom Rhein die Sieg hinauf
    Und die Agger ins Tal der Wiehl,
    Da grüßt euer Ohr ein süßer Klang,
    Ein herrliches Glockenspiel.

    So traut erklingen die Glocken von Wiehl
    Und auch so ernst und bang.
    Es bebt das Herz vor Wonne und Weh
    Bei dem wunderbaren Klang. –

    Einst kamen auf der Wanderfahrt
    Zwei Kölner Kaufherrn ins Tal,
    Als feierlich der Glocken Geläut
    Erscholl wie ein Choral.

    Verwundert lauschten die beiden Herrn
    Den Tönen so voll und rein;
    Sie pflogen Rats und kehrten bald
    Beim Pfarrer des Dorfes ein.

    „Herr Pfarrer, wir hörten nicht schöner Geläut
    Auf uns’rer weiten Reis’!
    Die Glocken taugten für unsern Dom,
    Sagt an: was ist ihr Preis?“

    Der Pfarrer schickt zu den Schöffen hin.
    Die kommen an in Eil’.
    „Nein, unsre Glocken missen wir nicht,
    Die sind uns nimmer feil.“

    „Wir bieten“, der eine Kaufherr spricht,
    „So viele Taler euch an,
    Als man von Köln bis her nach Wiehl
    Aneinander legen kann.“

    Da tritt ein würdiger Greis hervor:
    „Ihr Herr’n, laßt ab vom Gebot!
    Mehr als die blanken Thaler tun
    Die alten Glocken uns not.

    Sie riefen uns in Freud und Leid
    Gar traute Weisen zu,
    Bei ihrem Schalle trugen wir
    Die Väter zur ewigen Ruh.

    Und uns soll auch ihr lieber Klang
    Geleiten durchs Leben hinfort,
    Bis unsre Kinder uns tragen hinaus
    An einen kühlen Ort.

    Da gingen stumm die Kölner Herrn
    Hinweg mit finsterm Gesicht;
    Sie trugen, wie die Sage erzählt,
    Die stolze Weigerung nicht.

    Und der and’re von ihnen, ein heißes Blut,
    Rief an des Weges Kehr:
    „So mögen bersten die Glocken euch!
    Eine Hexe schick’ ich euch her.“

    Und eine Hexe kam ins Dorf
    Und klomm in stiller Nacht
    Ganz ungesehn in den Turm hinauf,
    Auf schlimmen Schaden bedacht.

    Mit rotem Faden sie murmelnd umwand
    Der größten Glocke Rund, –
    Da plötzlich erhebt sich ein grimmiger Sturm,
    Erschüttert den Turm bis zum Grund.

    In die Glocken fährt er, die schwingen sich wild
    Und schmettern, die sie bedroht,
    Die Hexe, jäh in die Tiefe hinab,
    Da fand sie grausigen Tod.

    Noch heut erklingen die Glocken von Wiehl
    So traut, so ernst und bang,
    Es bebt das Herz vor Wonne und Weh
    Bei dem wunderbaren Klang.




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