Library / Literary Works

    Clemens Brentano

    Kosme und Rosablanka

    Auf des Fensters Efeuranken
    Spielt der Strahl der jungen Sonne,
    Und des Laubes Schatten schwankend
    Weckt den greisen Vater Kosme.

    Schlummerstille ist die Kammer
    Rosablankens, als er horchet,
    Und er trägt den Krug zum Bache,
    Füllet ihn mit frischem Borne.

    Aus dem Wasserspiegel mahnet
    Ihn des Alters ernster Bote;
    „Du wirst bald die Schuld bezahlen!“
    Spricht des Hauptes Silberlocke.

    Betend senkt er in dem Schatten
    Seine Stirne an den Boden;
    Mit ihm betet auch das Wasser
    Und des Gartens heilge Rose.

    Und des Tales Sänger alle,
    Blumen, Bäume, hohe Wolken,
    Schallend, wachend, atmend, wandelnd,
    Opfern fromm der goldnen Sonne.

    Aber zu der Kinder Lallen
    Weint der graue Büßer Kosme,
    Denn um seine Hütte wachsen
    Weiße, rote, gelbe Rosen.

    Schamvoll, schuldvoll überschwankend
    Wiegt die rote, blutge Rose –
    Ach, sie treffen ihn gleich Stacheln –
    Stumm zwei Knospen an der Sonne!

    Abgewendet von dem Alten
    Unterm Zorn der dunklen Dornen
    Läßt die gelbe Rose wanken
    Tränenschwere Trauerglocken.

    Und die weiße Rose, zagend,
    Gleicht dem Geiste einer Nonne,
    Bleicht den Schleier weinend, wachend
    Ewig unter Mond und Sonne.

    Jetzt auch zu dem Bache wandelt
    Rosablanka, während Kosme
    Betend liegt; mit kühlem Wasser
    Netzt sie Wange, Brust und Locke,

    Ihre Stimme noch umfangen
    Von des Traumes Nebelkrone,
    Und die Augen scheu umflattert
    Von der Sonnenbilder Flocken.

    Doch des Wassers Spiegel mahnet
    Zu dem frommen Wunsch die Fromme:
    „Könnte alle Schuld ich zahlen
    Mit der goldnen Flut der Locken!“

    Ihre Worte hört der Alte,
    Und spricht zu ihr: „Fromme Tochter,
    Sei gesegnet an dem Tage,
    Da du bist zum Licht geboren!

    Aber bleich sind deine Wangen,
    Und die Augen trüb umfloret?“ –
    „Vater, schwere Träume brachte
    Diesen Morgen mir Aurore.

    Überm Haupte bang gespannet
    Schwankt und droht des Traumes Bogen,
    Den zerbrochen mir die Schwalbe,
    Niederträufelnd einen Tropfen.“ –

    „War es Feuer, war es Wasser,
    Rosablanka, was dir drohte?
    War erwühlet dir der Garten?
    Bebte unter dir der Boden?“ –

    „Ja, es waren Tränen, Vater,
    Und es war die Glut der Rosen,
    Und um göttliches Erbarmen
    Ward erwühlt des Gartens Boden.“ –

    „Wehe! wehe! Rosablanka,
    Der gewühlet in dem Boden,
    Fand er göttliches Erbarmen
    Oder blieb sein Werk verloren?“ –

    „Er ging unter still ermahnend,
    Über ihm ist aufgeschossen
    Eine bunte, schöne Schlange,
    Dringend hin nach meinen Rosen.“

    „Wehe! wehe! Rosablanka,
    Gabst du hin die heilgen Rosen?
    Hat die bunte, schöne Schlange
    Dich mit bunter Luft betrogen?“

    „Von dem Himmeln kam gegangen
    Die den Heiland hat geboren;
    Sie zertrat das Haupt der Schlange
    Und ich gab ihr hin die Rosen.“ –

    „Sei gesegnet, Rosablanke,
    Für die Worte voller Trostes!
    Daß sich mein der Herr erbarme
    Mag ich nun in Demut hoffen.“ –

    Tiefbeweglich sprach der Alte,
    Und es wagte nicht die Fromme
    Nach der Rede Sinn zu fragen,
    Sie sah schüchtern an den Boden.

    Aber zu der Hütte wandeln
    Beide nun, und Vater Kosme
    Spricht: „Nun gehe zu dem Garten,
    Fülle deinen Schoß mit Rosen,

    Während ich die Honigwaben
    Und das Wachs, das diese Woche
    Ich zu Kerzen zog und malte,
    Dir in deinen Korb geordnet.

    Nach Bologna mußt du wandern,
    Eh noch höher steigt die Sonne,
    Dort verkaufe deine Ware
    Bei den schwarz und weißen Nonnen.

    Zwanzig Soldi nur an barem
    Gelde nehme ich vom Kloster;
    Was dir bleibt von deinem Wachse,
    Tausche ein um weiße Brote.

    Bringe mir auch Purpurfarbe,
    Einen Gran geriebnen Goldes,
    Und Ultramarin zwei Asse
    Aus dem Kram am römschen Tore.

    In dem Kloster zu Sankt Claren
    Gibt dem Meßner zwanzig Soldi,
    Daß er morgen, eh es taget
    Eine Seelenmesse ordne.

    Morgen sind es zwanzig Jahre
    Daß die Mutter dir gestorben.
    Herr, dich ihrer Seel’ erbarme
    Durch die Mutter deines Sohnes!

    Ew’ge Ruhe gibt den Armen,
    Die der Erde Schoß bewohnen.“ –
    Amen! betet Rosablanke,
    Und geht weinend nach den Rosen.

    Da sie kehret, hat der Alte
    Ihr den Korb schon wohlgeordnet,
    Drüberhin ein Tuch gespannet,
    Darauf gießt sie aus die Rosen.

    „Was dir bleibet, Rosablanke,
    Gib den Armen oder opfre;
    Gehe hin in Gottes Namen.“ –
    Und sie gehet mit dem Korbe.

    Kosme schließt das Tor des Gartens
    Und der Hütte kleine Pforte,
    Riegelt ein sich in der Kammer,
    Wäre gern allein verschlossen.

    Aber nicht am Tor des Gartens,
    Nicht an seiner Hütte Pforte,
    Noch der Kammer, hört den Hammer
    Er des strengen Gläubgers pochen.

    In dem Busen wohnt der Mahner
    Alter Sünde, und die Rose
    Mahnt am Fenster, und die Schwalbe,
    Seiner Armut Gast, mahnt Kosme.

    Und die fromme Rosablanke,
    Die mit goldner Flut der Locken
    Möchte alle Schuld bezahlen,
    Ist der strengste Gläubger Kosmes.

    Zu der Hütte letzter Kammer
    Schleichet bang der alte Kosme,
    Dort hält er den Schatz des Jammers
    Sich im festen Schrank verschlossen.

    Eine Locke blonder Haare,
    Die Gewande einer Nonne
    Nimmt er weinend aus dem Kasten,
    Und dann eine schwere Rolle.

    Er befestigt sie am Rande,
    Und es rollet zu dem Boden
    Ein Gemälde, das der Maler
    Unvollendet, halb entworfen.

    Unten auf dem Meer der Schatten
    Schwankt, umwogt von dunklen Wolken,
    Ohne Steuer, ohne Flagge,
    Bleich der Kahn des halben Mondes.

    An den Seiten aufwärts wallen
    Opfersäulen grauer Wolken,
    Die den Regenbogen tragen,
    Des Triumphes Friedenspforte.

    Um des Tores Bogen ranken
    Engel sich, aus rotem Golde,
    Und von ihren Händen fallen
    Purpurrote Morgenrosen.

    Wo sie zu dem Monde fallen
    Scheinet er von blankem Golde
    Eine Sichel, die am Abend
    Rosen streute für Auroren.

    Aber nächtlich hat die Schlange
    Um die Sichel sich gerollet.
    O erscheine, Herr des Gartens,
    Tritt den Lügner an den Boden!

    Denn inmitten dieser Tafel
    Ist noch kaum ein Strich gezogen,
    Gleich des Blinden Auge starret,
    Gott erharrend, hin der Bogen.

    Jährlich nur an diesem Tage
    Weint vor dem Gewand der Nonne
    Und der Locke goldner Haare,
    Büßt vor diesem Bilde Kosme.

    Wie, an heilgen Jahrestagen
    Nur, die Kirche die Kleinode,
    Die Reliquien des Schatzes
    Auftut, zu der Frommen Troste,

    So auch liegt der Schatz des Jammers
    Jährlich vor dem Büßer offen
    Da geboren Rosablanke,
    Da die Mutter ihr gestorben.

    Die in schwerer Schuld empfangen,
    Die in schwerer Schuld gestorben,
    Und es ist der Sünde Vater
    Rosablankas Vater Kosme.

    Bis in tiefer Reue Flammen
    Der Verzweiflung Erz geschmolzen,
    Weinet Kosme in der Kammer
    Vor dem Bild und Kleid der Nonne.

    Und als in des Büßens Asche,
    Wie der Blick geschmolznen Goldes,
    Hoffnung ihm entgegenlachet,
    Geht bereiten er das Opfer.

    Er gießt aus gebleichtem Wachse,
    Das im Mittagsstrahl zerflossen,
    Eine hohe Totenfackel,
    Einer Schlange gleich geformet.

    Malt sie an mit bunten Farben,
    Schmückt sie auch mit Punkten Goldes;
    Brennen soll sie am Altare
    Bei der Totenmesse morgen.

    Und so hat er still gemalet,
    Bis zum Garten ging des Mondes
    Blanke Sichel, und des Abends
    Rosen streute für Auroren.




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