Library / Literary Works

    Ludwig Tieck

    Auf der Reise

    Auf Wiesen, in Wäldern,
    An Strömen, auf Feldern
    Quillt glühendes Leben,
    Die Bäume sie streben
    Zum Himmel hinan.
    Es fliehen mit Eilen
    Die Quellen von steilen
    Gebirgen und suchen sich ebene Bahn,
    Durch Dornengesträuche,
    Vorüber der Eiche,
    Dem Wurzelgeflecht;
    Und rund um die Quelle
    Besieht sich in jeder fortschleichenden Welle
    Der kindischen Blumen neugierig Geschlecht.
    In Steinklüften suchen
    Die glänzenden Buchen
    Genügsamen Raum,
    Sie zittern und nicken
    Und rauschen und schmücken
    Den felsigen Saum.
    So findet die Quelle
    Der Baum sein Stelle
    Und treibet sich’s recht:
    So dauert, geneset,
    Und stirbt und verweset
    Zufrieden so manches gebohrne Geschlecht. –
    Nur der Mensch geht in der Irre,
    Will heut hier seyn, morgen dort,
    Alle Sinne im Gewirre
    Sucht er stets den fernen Ort.
    Will nicht in der Heimath dauern
    Weithin dehnt er seinen Blick,
    Wandert unter Regenschauern
    Und sieht dann mit bangem Trauern
    Nach dem erst verschmähten Glück.
    Wie in monderhellten Hainen
    Wolken durch den Himmel fliehn,
    Bald die Bäume glänzend scheinen,
    Schatten wieder abwärts ziehn:
    Also auch des Menschen Seele,
    Daß er durch sein ganzes Leben
    Rastlos auf und ab sich quäle
    Ward die Sehnsucht ihm gegeben. –
    Doch wohl mir, ich fühle
    Zerreißen das Band!
    Ich nahe dem Ziele
    Das fern und ferner seit lange mir schwand.
    Das bängliche Schwanken
    Das nüchterne Kranken,
    Vorüber an mir! –
    Wie soll ich dir danken?
    O Liebste! o sprich, wie vergelt ich es dir?




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