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    Eduard Mörike

    Bei der Marien-Bergkirche von L

    Einem Freunde zum Geburtstag, der dort begangen wurde.


    O liebste Kirche sondergleichen,
    Auf deinem Berge ganz allein,
    Im Wald, wo Linden zwischen Eichen
    Um’s Chor den Maienschatten streun!

    Aus deinem grünen Rasen steigen
    Die alten Pfeiler prächtig auf,
    An Drachen, Greifen, Laubgezweigen
    Reich bis zum letzten Blumenknauf.

    Und Nachtigall und Kuckuck freuen
    Sich dein und ihrer Einsamkeit;
    Sie kommen jährlich und erneuen
    Dir deine erste Frühlingszeit.

    Der Wohllaut deiner Orgeltöne
    Schläft, ach, manch lieben langen Tag,
    Bis einmal sich dein Thal der Schöne
    Deines Geläutes freuen mag.

    Dort, wo aus gelbem Stein gewunden
    Die Treppe hängt, Ein Blumenkranz,
    Vertieft sich heut in Abendstunden
    Mein Sinn in ihre Zierde ganz.

    Sieh! ihre leicht geschlung’nen Glieder
    Verklären sich in rothes Gold!
    Und horch, die Spindel auf und nieder
    Gehn Melodien wunderhold!

    Musik der hundertfachen Flöte,
    Die mit dem lezten Strahl verschwebt,
    Und schweigt, bis sie die Morgenröthe
    Des gleichen Tages neu belebt.




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