Library / Literary Works

    Gottfried Keller

    Wirklichkeit

    So manchmal irre werd’ ich an der Stunde,
    An Tag und Jahr, ach, an der ganzen Zeit;
    Es gährt, es tost: doch mitten auf dem Grunde
    Ist es so still, so kalt, so zugeschneit.

    Habt ihr euch auf ein neues Jahr gefreut,
    Die Zukunft preisend mit beredtem Munde?
    Es rollt heran und schleudert, o wie weit,
    Euch rückwärts! – Ihr versinkt im alten Schlunde.

    Und dennoch kann die Hoffnung nie verlieren!
    Sind auch noch viele Nächte zu durchträumen,
    Zu schlafen, zu durchwachen – zu durchfrieren.

    So wahr erzürnte Wasser müssen schäumen,
    Muß, ob der tiefsten Nacht, Tag triumphiren,
    Und steh: schon bricht es roth aus Wolkensäumen!




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