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    Heinrich Heine

    Michel nach dem März

    So lang ich den deutschen Michel gekannt,
    War er ein Bärenhäuter;
    Ich dachte im März, er hat sich ermannt
    Und handelt fürder gescheuter.

    Wie stolz erhob er das blonde Haupt
    Vor seinen Landesvätern!
    Wie sprach er – was doch unerlaubt –
    Von hohen Landesverräthern.

    Das klang so süß zu meinem Ohr
    Wie mährchenhafte Sagen,
    Ich fühlte, wie ein junger Thor,
    Das Herz mir wieder schlagen.

    Doch als die schwarz-roth-goldne Fahn’,
    Der alt germanische Plunder,
    Aufs Neu’ erschien, da schwand mein Wahn
    Und die süßen Mährchenwunder.

    Ich kannte die Farben in diesem Panier
    Und ihre Vorbedeutung:
    Von deutscher Freiheit brachten sie mir
    Die schlimmste Hiobszeitung.

    Schon sah ich den Arndt, den Vater Jahn –
    Die Helden aus andern Zeiten
    Aus ihren Gräbern wieder nah’n
    Und für den Kaiser streiten.

    Die Burschenschaftler allesammt
    Aus meinen Jünglingsjahren,
    Die für den Kaiser sich entflammt,
    Wenn sie betrunken waren.

    Ich sah das sündenergraute Geschlecht
    Der Diplomaten und Pfaffen,
    Die alten Knappen vom römischen Recht,
    Am Einheitstempel schaffen –

    Derweil der Michel geduldig und gut
    Begann zu schlafen und schnarchen,
    Und wieder erwachte unter der Hut
    Von vier und dreißig Monarchen.




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